Brief an eine Schaffnerin
Sie war 18 Lenze jung und Schaffnerin bei der PESAG (Paderborner Elektrizitätswerk und Straßenbahn Aktien-Gesellschaft). Man schrieb das Jahr 1942. Eines schönen Tages (Es muss ein schöner Tag gewesen sein!) gab es in der Kohlstädter Weiche, in Höhe der alten Ruine, für Straßenbahn und Fahrgäste einen längeren Aufenthalt. Der „Gegenverkehr“ hatte Verspätung. Ein junger Mann, so um die 20, 22 Jahre, aus Dortmund, unterwegs zu einer HJ-Tagung in Detmold, nutzte die Gunst der Ruhepause. Die hübsche Schaffnerin hatte ihn in prickelnde Unruhe versetzt. Kurzum: Es wurde geflirtet, und die Zeit reichte außerdem zu einem Foto. Dann traf die Straßenbahn aus der Gegenrichtung aus Horn ein, die Fahrt ging weiter. Dienst ist Dienst.
Die Schlänger Schaffnerin Anneliese Herdehuneke hatte es dem Dortmunder angetan. Dass ihm Name und Wohnort unbekannt waren, hinderte den hoffnungsvollen Jüngling nicht, dem „Frl. bei der PESAG“ einen Brief zu schreiben. Statt der von der Post üblicherweise und vollständig in deutlicher Schrift geforderten Adressenangaben klebte er ergänzend zum kurzen Text das Foto der jungen Lipperin auf den Umschlag.
Anneliese Herdehuneke hat den Brief mit dem Wunsch nach einer Vertiefung der kurzen Bekanntschaft tatsächlich auf dem Postwege erhalten. Sie hat ihn nicht beantwortet. Vom Chronisten 1985 nach den Gründen für die Zurückhaltung befragt, sagte sie nur: „Man hatte den Kopf damals so voll anderer Dinge.“
Anneliese Herdehuneke aus Schlangen war von 1941 bis 1948 im Fahrdienst bei der PESAG tätig und anschließend bis zu ihrem Ruhestand 1981 im Innendienst beschäftigt. 1991 ist die ehemalige Schaffnerin verstorben.
Die Straßenbahn fuhr von 1912 bis 1953 zwischen Schlangen und Horn. Auf der Strecke Paderborn – Schlangen verkehrte sie von 1911 bis 1959. Der originelle Briefumschlag aus dem Kriegsjahr 1942 ist erhalten geblieben. Er dokumentiert Straßenbahngeschichte, wenn auch nur ein winziges Stück.
H. W.
(Publiziert am 13. März 2015)