Weihnachten in Haustenbeck
Von Ruth Held
Vorbemerkungen: In seinem 1939 geschriebenen und 1975 veröffentlichten Buch „Haustenbeck – Auflösung und Abschied“ berichtet Pastor Hans Held über den Weihnachtsgottesdienst des Jahres 1938:
„Ich hatte in der Frühkirche den Text 2. Korinther 8, Vers. 9 und versuchte – zum Glück am Schluss der Ansprache – auch etwas zu sagen über die Wehmütigkeit dieses letzten Weihnachtsfestes.
Aber ich musste schnell abbrechen, weil ich sonst nicht mehr hätte weitersprechen können.“
Pastor Lic. Hans Held war von 1929 bis 1939 Seelsorger des Sennedorfes, seit 1932 gleichzeitig Pfarrer in Augustdorf mit Wohnsitz in der größeren Gemeinde. Pastor Held ist am 22. Februar 1944 in Russland gefallen.
Frau Ruth Held, Witwe des ehemaligen Haustenbecker Pastors ist 1989 verstorben. Nach ihren Erinnerungen an die Senne gefragt, erklärte sie 1977 in einem Interview: „Mir ist, als hätte in Haustenbeck immer die Sonne geschienen.“
Heinz Wiemann hat Ruth Held 1982 um einen Beitrag für den „Schlänger Boten“ zu dem Thema „Weihnachten in Haustenbeck“ gebeten. Hier ist er:
Weihnachten in Haustenbeck – Welchem früheren Haustenbecker kommen da nicht viele Erinnerungen an das ehemalige Sennedorf, dessen Bewohner am Totensonntag 1939 in ihrer Kirche den letzten Gottesdienst feierten und das dann das Schicksal hatte, mit allen geliebten Stätten, Feldern, allem Erleben und allen Erinnerungen dem großen Senne-Übungsplatz angeschlossen zu werden! Wer denkt nicht an die langen Wege bei Sonne, Wind, Regen, Eis und Schnee durch die weite Senne zur Dorfmitte hin, wo die Kirche stand, wo die Schule und die Läden Eikermann und Voß lagen! Wer erinnert sich nicht auch ganz besonders an die Frühkirche am ersten Weihnachtstag, die für alle der Anfang des Festes bedeutete!
Die Nacht vor diesem Ereignis verlief wohl in den meisten Häusern sehr unruhig, fing doch der Gottesdienst früh um 6 Uhr oder später um 6:30 Uhr an. Die Kinder fürchteten zu verschlafen, und um 3 Uhr tappten manchmal die ersten Schritte durch das Haus. Gegen 5 Uhr musste aufgestanden werden, hatten doch manche weite Wege „zum Dorf“. Dann zogen die Familien mit ihren vielen Kindern durch die dunkle Senne über die lockeren Sandwege, die auch wohl manchmal gefroren waren, Hand in Hand auf die große Straße zu, an der man von weitem schon die erleuchtete Kirche sah, die Lichterkirche, das Ziel.
Während in den Häusern alle für die Kirche rüsteten, waren „im Tötken“ Frau Kehne, die Küsterin, und ihr Sohn Heinrich emsig bei der Arbeit. Sie waren noch früher aufgestanden, denn um 4 Uhr musste der große Eisenofen an der Nordwand der Kirche angemacht werden. Das Holzfeuer knackte und knisterte gemütlich durch den Raum. Bei ungünstiger Witterung qualmte der Ofen oft sehr, und die Kirche stand voll Rauch, aber es gab sich bald, so dass nur noch angenehmer Rauchduft übrig blieb. Um 5 Uhr musste die kleine Glocke geschlagen werden, damit alle nah und fern wussten, dass in einer Stunde die Lichterkirche anfing. Dann wurde der große Ofen mit Buchenscheiten gefüllt, die Frau Kehne in einer Schubkarre heranholte und die vielen Kerzen mussten angezündet werden.
„In der Lichterkirche allerdings setzten sich die Familien zusammen…“
Im Hauptgang hingen zwei große Messingkronleuchter, an den Wänden rundum kleine Messingleuchter. Neben dem Altar stand der Weihnachtsbaum, den die Kirchenältesten am Vortag aufgestellt hatten. Von überall leuchtete es und gab der Kirche ein anheimelndes Licht und strömte Wärme aus.
Allmählich waren aus allen Richtungen die Haustenbecker herangeströmt und saßen erwartungsvoll auf ihren Bänken, besonders die Kinder. Es gab Familien, die ihre eigenen Sitzplätze hatten. So saßen Kötters und die Oesterhaus-Familie im „Kutschwagen“, wie Vater Kötter die Plätze zu bezeichnen pflegte. Die kleine Sakristei war von einem Gitter mit grünen Gardinen umgeben. Daneben war der Platz für die Pfarrfrau, und dahinter saßen die Kirchenältesten. Im übrigen saßen die Männer für sich auf der einen Seite, die Frauen auf der anderen Seite. In der Lichterkirche allerdings setzten sich die Familien zusammen.
Wenn dann gegen 6 Uhr alle Glocken geläutet hatten, begann der Gottesdienst. An ihm beteiligten sich auch die Schulkinder und die Konfirmanden. Die Lehrer hatten in der Adventszeit mit ihren Klassen die schönen, alten Weihnachtslieder für die Lichterkirche eingeübt. Die Konfirmanden sagten die uralten Verheißungen aus dem Alten Testament auf, die vor vielen Jahren auf das Kommen Jesu hinwiesen. Die Ansprache des Pastors war meistens auf die Kinder eingestellt. Es war ein fröhlicher Gottesdienst, manche kleine Kinderstimme ließ sich durch den Raum vernehmen. Zufrieden und froh zogen dann alle nach Hause, wo der nächste Höhepunkt wartete, die Bescherung. Die Haustenbecker waren nicht verwöhnt. Die Freude über eine Wollmütze oder ein Paar Handschuhe war groß. Nach der Bescherung gab es dann das Frühstück mit Stuten, der gewöhnlich an Feiertagen auf den Tisch kam. Man war bescheiden und doch so von innen froh.
Nun sind die Haustenbecker von damals alle 40 bis 50 Jahre älter geworden; viele sind in der Ewigkeit. Für uns noch Lebende hat sich in diesen fünf Jahrzehnten vieles geändert, aber sind wir in unserem Wohlstand glücklicher geworden? Oder ist es uns zumute wie dem Dichter, dessen Verse mein Mann in der Lichterkirche 1929 in Haustenbeck vorgetragen hat?
Ihr habt mich nach meinem Wunsch gefragt
zum kommenden Weihnachtsfeste.
Dann hab ich euch dieses und jenes gesagt,
verschwiegen hab ich das Beste.
Ich wünsch mir, noch einmal ein Kind zu sein,
zu erwachen im Elternhause.
Als Kind zu sehen den Flammenschein
des Christbaums im Glockengebrause;
als Kind zu lauschen der Weihnachtsmär,
die mir immer das Herze ließ schlagen,
zu singen „Vom Himmel, da komm ich her“
und wunschlos mein Glück zu tragen.
(Publiziert am 2. Dezember 2014)