Erinnerungen an Haustenbeck
Von Margarete Sprenger und Ruth Held
Vorbemerkungen:
Vor 75 Jahren endete die Geschichte der Gemeinde Haustenbeck in der Senne – Anlass, ein Interview erneut zu veröffentlichen, das 1977 im Heft Nr. 12 des „Schlänger Boten“ erschienen ist.
„Wenn ich mir heute Rechenschaft ablege, wie ich dazu gekommen bin, dieses Buch zu schreiben, so darf ich sagen, dass am Anfang die Liebe zu unserem Sennedorfe gestanden hat“, bekennt Hans Sprenger im Geleitwort zu „Haustenbeck – Ein Buch der Erinnerung“, 1939 erschienen. In seinem 1939 geschriebenen und 1975 veröffentlichten Buch „Haustenbeck – Auflösung und Abschied“ berichtet Pastor Hans Held über den Weihnachtsgottesdienst des Jahres 1938: „Ich hatte in der Frühkirche den Text 2. Korinther 8, Vers 9 und versuchte – zum Glück am Schluss der Ansprache – auch etwas zu sagen über die Wehmütigkeit dieses letzten Weihnachtsfestes. Aber ich musste schnell abbrechen, weil ich sonst nicht mehr hätte weitersprechen können.“
Professor Hans Sprenger, 1934 bis 1939 Lehrer in Haustenbeck, ist am 12. März 1973 gestorben. Pastor Lic. Hans Held war von 1929 bis 1939 Seelsorger des Sennedorfes, seit 1932 gleichzeitig Pfarrer in Augustdorf mit Wohnsitz in der größeren Gemeinde. Pastor Held ist am 22. Februar 1944 in Russland gefallen.
Frau Margarete Sprenger, 1896 in Eichholz geboren, hat 1925 geheiratet. Frau Ruth Held ist 1908 in Essen zur Welt gekommen, getraut wurde 1929. Beiden Witwen der Buchautoren hat Heinz Wiemann die gleichen Fragen gestellt, Fragen nach Erinnerungen an Haustenbeck, an das Dorf, das für immer geräumt werden musste und 1939 in das Truppenübungsgelände einbezogen wurde.
Welches Bild steht Ihnen besonders deutlich vor Augen, wenn Sie an Haustenbeck denken?
Margarete Sprenger: In den ersten Apriltagen des Jahres 1934 erfolgte unser Umzug von Detmold nach Haustenbeck. Ich erinnere mich besonders lebhaft an folgendes Ereignis: Der Möbelwagen war gerade wieder abgefahren, da hörten wir Blasmusik. Und dann bewegte sich, von den Klängen der Musik begleitet, ein Hochzeitszug an unserem Hause vorbei zur Kirche. Während das Paar in der Kirche getraut wurde, warteten die Musiker draußen. Nach der Trauung geleitete die Blaskapelle das Paar und seine Gäste zum Dorfkrug, wo das fröhliche Ereignis gebührend gefeiert wurde. Ein solcher Brautzug war für uns ein ungewohntes Bild.
Ruth Held: Eine Fülle von Bildern drängt sich auf, wenn ich an Haustenbeck denke, an das stille Dorf, dessen Häuser mit ihren weit heruntergezogenen Dächern wie Glucken – zum Teil weit verstreut – in der Heide lagen. Das Pfarrhaus mit fast lauter Sonnenzimmern, vom Garten umgeben, zu dem auch ein Stück Haustenbachtal gehörte, lag nahe der Kirche im Tötken, im „vollen Dorfe“. Wir saßen am Feierabend gern auf einer kleinen Bank. Vom Nachbarn Hunkenhof zog meistens eine Rauchwolke von gebranntem Buchenholz über unseren Garten hin, die Mauersegler schossen kreischend ums Haus, sonst war es still, und wir überdachten den Tag mit all seinen Ereignissen. Oft gingen wir auch nach Taubenteich, einem verlassenen Dorf in der Nähe, das vor vielen Jahren schon zum Truppenübungsplatz gekommen war. Die Häuser waren verfallen, aber die Bäume rundum standen noch, und im Frühjahr war die Obstbaumblüte bezaubernd schön. Mir ist, als hätte in Haustenbeck immer die Sonne geschienen.
An welche Begebenheit in Haustenbeck erinnern Sie sich mit besonderem Vergnügen?
Margarete Sprenger: Die Haustenbecker verstanden es, ihre Feste zu feiern! Besonders gern erinnere ich mich an ein Jubiläumsfest im Jahre 1935. Das gesamte Dorf nahm daran teil. Die Musik spielte zu den alten Tänzen auf, Volkslieder wurden gesungen, Dr. Copei hatte mit seinem Chor altvertraute Weisen einstudiert, und für Überraschungen sorgte eine Verlosung.
Die Kirche in Haustenbeck, wie sie Margarete Sprenger und Ruth Held in der Erinnerung geblieben war. Foto: Römer, 1935
Ruth Held: Sonntags vor dem Gottesdienst hielten die Männer noch ein Schwätzchen vor der Kirche, während die Damen schon hineingingen. Dabei rauchten die Herren ihre Zigarren. Auf dem Weg schließlich zur Kirche legten sie die Zigarren auf einen Säulenvorsprung des Tores in der Kirchenmauer. Da lagen sie nun: lang, kurz, dick, dünn, in allen Qualitäten. Ob wohl jeder jedesmal die seine wiedergefunden hat?
Welche Eigenart dörflichen Lebens ist Ihnen unvergesslich geblieben?
Margarete Sprenger: Als wir nach Haustenbeck kamen, gab es schon keine häuslichen Trauerfeiern mehr. Herr Bierwirth hatte es sich zur Aufgabe gemacht, im Trauerhaus jeweils ein kurzes Gebet zu sprechen; dann setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Unterwegs schlossen sich Trauergäste an. Die Küsterin, Frau Kehne, beobachtete aus einer Fensterluke, wie der Zug näherkam und begann mit dem „Kleppen“ (Schlagen der Glocke in einminütigem Abstand). An der Kirche empfing der Pastor den Trauerzug und geleitete ihn zum Friedhof. Dort wurde die Leiche ausgesegnet und ins Grab gesenkt. Anschließend fand in der Kirche die Trauerandacht statt.
Ruth Held: Unvergesslich ist mir die erste Beerdigung, die ich in Haustenbeck sah. Der Tote wurde auf seinem Ackerwagen zum Friedhof gebracht. Das war mir als Großstadtkind neu und hat mich sehr beeindruckt.
Wie haben Sie die Auflösung des Dorfes miterlebt?
Margarete Sprenger: An den Oktober 1939 erinnere ich mich. An bestimmten Tagen wurden alle Haustenbecker mit Wehrmachtswagen in den Sternhof evakuiert, weil die übende Artillerie über das Dorf hinwegschoss. Die Frauen beschäftigten sich mit mancherlei Handarbeiten, während sich die Männer die Zeit mit Skatspielen vertrieben. Abends ging es dann zurück nach Haustenbeck. Am 10. Oktober 1939 verließ ich das Dorf und zog nach Remmighausen. Zu diesem Zeitpunkt wohnten die meisten Haustenbecker schon nicht mehr in ihrer Gemeinde.
Die Schule in Haustenbeck, wie sie Margarete Sprenger und Ruth Held in der Erinnerung geblieben war. Foto: Sammlung Sprenger, 1940
Ruth Held: Die Auflösung des Dorfes, dessen Gebiet zum Truppenübungsplatz kam, erlebte ich, da wir schon in Augustdorf wohnten, im Großen und Ganzen durch die Berichte meines Mannes, zum Teil auch in den Gottesdiensten, wenn die Wegziehenden zum Abschied noch einmal in ihre Kirche kamen. Ich nahm auch teil am letzten Gottesdienst, Totensonntag 1939, den mein Mann – selbst schon in Uniform – hielt; er hat darüber in seinem Buch berichtet.
Welche Bedeutung haben die Haustenbecker Jahre in Ihrem Leben erlangt?
Margarete Sprenger: Mein Mann und ich kamen 1934 nach Haustenbeck. Uns hat die große Freundlichkeit der Menschen und ihr herzliches Entgegenkommen sehr überrascht. Um so schmerzlicher haben wir einige Jahre später den Abschied empfunden. Haustenbeck war uns Heimat geworden. Noch über Jahre hinweg haben wir mit zahlreichen Haustenbeckern viele Briefe gewechselt.
Ruth Held: Es waren für mich sehr schöne, ausgefüllte drei Jahre. Ich lernte das Land – die Senne – und die Menschen kennen. Ich lernte ihre Sprache verstehen und war sehr beeindruckt von ihrer schlichten Lebensweise, von ihrer Menschlichkeit, von ihrer unbedingten Geborgenheit in ihrem christlichen Glauben. Haustenbeck gab es nur einmal. Man kann es schwer beschreiben, man muss es erlebt haben! Das haben mein Mann und ich dankbaren Herzens getan.
Margarete Sprenger ist 1985 verstorben und Ruth Held 1989.
(Publiziert am 29. August 2014)